Die Engländer haben zweiundvierzig Religionen, aber nur zwei Saucen.
Voltaire (1694 - 1778)
Ein Parkplatz in der Nähe von Calais. Es ist kurz nach 5 Uhr, als unser Wecker klingelt. Das ist irgendwie so gar nicht unsere Zeit. Aber da müssen wir Langschläfer nun eben durch. Heute geht es auf die Fähre nach Dover in England, um 08:05 Uhr ist Abfahrt. Ich habe ziemlich gut geschlafen, während Magdalena – so erzählt sie mir – so gut wie kein Auge zugemacht hat. Mal so unter uns: sie ist der Schisser von uns beiden. Aber andererseits ist es vielleicht auch gar nicht so schlecht, denn während ich manchmal viel zu Leichtsinnig an manche Dinge herangehe, so ist sie die Vorsichtige von uns. Das ergänzt sich gut, und so finden wir meistens einen Mittelweg. Also – was wir vor unserer Reise nach England herausgefunden haben, und was meine Frau unaufhörlich beschäftigt, ist, dass es überall eng ist. Klar, heisst ja ENG-Land. Ich versuche ihr zu suggerieren, sie soll es besser mit GROSS-Britannien assoziieren. Das macht es leichter. Aber ich glaube so ganz kommt mein Tipp nicht an. Das nächste, was ihr Sorgen macht, ist der Linksverkehr. Gut, ich bin auch noch nie mit einem linksgelenkten Auto auf der linken Seite gefahren. 2018 waren wir in Neuseeland, dort hatten wir auch einen Camper, aber der war zumindest Rechtsgelenkt. Aber das klappt schon, das haben andere auch schon geschafft.
Ich geniesse das geringe Verkehrsaufkommen, dass um diese Uhrzeit auf der Strasse noch herrscht. Wir müssen mindestens 45 Minuten vor Abfahrt am Terminal sein. Unser Plan ist, dass wir in der Warteschlange dann gemütlich Frühstücken können, deswegen fahren wir um einiges früher ab als wir müssten. Bis hin zum Terminal klappt auch alles relativ gut, aber dann begeben wir uns auf die Suche nach unserer Reederei. Die Irish Ferries ist zwar angeschrieben, aber mal muss man links, mal rechts, und dann ist es plötzlich gar nicht mehr angeschrieben – uneindeutiger geht es nicht, und stimmen tut keiner von den Wegweisern. Die ungeduldigen Brummi-Fahrer hinter uns, die die Strecke vermutlich 2 x pro Woche fahren und das riesige Terminal wie ihre Westentasche kennen, haben da kein Einsehen und hupen sofort, wenn man nicht schnell genug in der richtigen Spur ist. Ja Freunde, ich wünsche euch das Gleiche, wenn ihr mal in einer Gegend seid, in der ihr euch nicht auskennt. Nachdem wir schlussendlich durch einen Bereich fahren, durch den wir mit Sicherheit nicht durchfahren durften, schaffen wir es dann schliesslich, in der richtigen Schlange zu stehen. Nach den ganzen Pass- und Zollkontrollen ist dann also endlich Zeit für unser Frühstück. Aber so ganz unentspannt, wie wir dachten, ist es nicht. Wir müssen immer schauen, wann es los geht. Und wenn das der Fall ist, müssen wir schnell sein, da können wir nicht noch lange unsere Sachen in den Kühlschrank räumen. Wie auch immer, wir schaffen es, unser Wurstbrötchen und das Müsli runterzuschlingen und sind relativ schnell abfahrbereit. Nun geht es also los auf die Fähre. England – ahhm, Verzeihung: GROSSbritannien, wir kommen!
Für die Fährüberfahrt haben wir für uns und unsere dicke Frida 110,- EUR gelöhnt. Das ist eigentlich nicht besonders viel, aber angesichts des schmerzlichen Verlusts unserer Fahrräder und die Kosten für die Neuanschaffung hat uns dieser Monat richtig weh getan. Da passt es prima in unser schmales Reisebudget, dass der Liter Diesel schon fast 2,- EUR kostet. Normal ist das nicht. Unser Herz blutet und unsere Geldbörse leidet in diesem Monat Hunger. Wir denken wirklich viel darüber nach, wie wir weiterhin durchkommen sollen, wenn die Kosten überall explodieren. Und unser Reiseziel England ist nicht gerade bekannt dafür, günstig zu sein. Aber andererseits wollen wir nicht immer in den gleichen Ländern herumkurven, nur weil es billiger ist. Das war nicht unsere Idee vom Reisen. Also müssen wir die nächsten Wochen und Monate bluten und alles hinnehmen, wie es kommt. Unsere Zweifel und Gedanken über unsere Reise werden uns in den kommenden Wochen noch einige Male beschäftigen.
Die Fährüberfahrt verläuft ohne Probleme. Der Seegang ist zwar nicht gerade ruhig, aber wir finden ein schönes Plätzchen zum Sitzen und meine Frau, die ja bekanntlich sehr empfänglich für Seekrankheit ist, übersteht es ohne Komplikationen. Den Duty-Free auf dem Schiff erkunde ich zur Sicherheit allerdings alleine, und das war bestimmt die beste Entscheidung – denn da merke ich erst, wie stark die Fähre schwankt. Nach gut 1 ½ Stunden ertönt dann auch schon das Signal, dass die Fähre bald anlegt. Land ist bereits in Sicht und die weissen Klippen von Dover schauen durch die breite Fensterfront der Fähre.
Die ersten paar Meter nach der Fähre muss ich mich noch nicht besonders auf den Linksverkehr konzentrieren, da alle Spuren ohnehin nur in eine Richtung gehen. Als wir das Fährterminal dann verlassen, kommen wir relativ schnell auf eine Autobahn. Da immer genügend Verkehr vor uns herfährt, an dem ich mich orientieren kann, habe ich genügend Zeit, mich an den Linksverkehr zu gewöhnen. Und das geht wirklich sehr schnell. Nach gut 15 km hat man das schon verinnerlicht und muss nicht mehr gross nachdenken. Unser erstes Ziel haben wir vorsichtigerweise aber nicht allzu weit weg von Dover gewählt: Canterbury. Bis dorthin sind es gerade mal 40 Minuten. Die geschichtsträchtige Universitätsstadt und Erzbischofssitz liegt praktischerweise direkt auf unserem Weg nach Norden. Der schöne Park & Ride Parkplatz New Dover Road in Canterbury bietet Platz für rund 25 Wohnmobile und kostet für die Übernachtung 8 Pfund (etwa 9,60 EUR). Dafür sind zumindest Entsorgungsmöglichkeiten und Frischwasser dabei. Und mit dem Parkticket bringt uns der Shuttlebus sogar kostenlos in das Stadtzentrum und wieder retour. Den Parkplatz können wir jedem England-Reisenden, der nach der Fähre nicht gleich hunderte Kilometer fahren möchte, also sehr empfehlen!
Canterbury begrüsst uns mit sehr untypischem englischem Wetter: Sonnenschein! Das hätten wir uns eigentlich gar nicht erwartet. Aber umso besser, und die Temperaturen befinden sich wirklich im angenehmen Bereich. Das sollte sich übrigens bald ändern. Aber dazu später. Wir spazieren erstmal recht planlos durch das Stadtzentrum, das ja nicht allzu gross ist. Es braucht keine Sekunde, um unverkennbar zu wissen, dass man in England ist. Es ist alles «very british». Uns gefällt es sehr, und wir sind sofort hin und weg vom verspielten Stil, den Bauten, den schön dekorierten Geschäften, den wuchtigen gotischen Bauwerke und Steinhäusern. Hier hat man das Gefühl, dass sich die letzten 50 – wenn nicht gar 500 - Jahre nichts verändert hat. Und auch die bekannten roten Telefonboxen stehen noch hier und da – wenn auch nicht mehr in so grosser Anzahl wie früher. Wir sind schlichtweg verzaubert! Keine 10 Minuten in der Stadt höre ich ein altbekanntes Geräusch: die grosse schottische Hochlandpfeife – besser bekannt als Dudelsack. Für diejenigen, die uns nicht persönlich kennen oder nicht unsere ganze Geschichte auf diesem Blog gelesen haben: ich spiele selbst das ungewöhnliche Instrument, wenngleich auch in den letzten Jahren nicht mehr so regelmässig. Das bedeutet für mich natürlich zwangsläufig, dass ich in die Richtung muss, wo die schottischen Klänge herkommen. Schwer war es nicht, ihn zu finden. Da steht er also, schön im Kilt gekleidet, die Pipe auf der Schulter und spielt seine Lieder. Oh ja, das habe ich wirklich vermisst…
Ich könnte stundenlang dastehen und zuhören – weil ich es eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr gehört habe, und weil es einfach perfekt in diese Szene passt. Na ja, FAST perfekt. Ein bisschen zu weit südlich sind wir für Dudelsackklänge eigentlich schon noch. Unser Bummelspaziergang geht weiter durch die schöne Fussgängerzone mit den süssen kleinen Geschäften, alle schön dekoriert und mit Blumen verziert. Wir geniessen die Ruhe, die hier in dieser Stadt herrscht, obwohl es eigentlich ein geschäftiges Treiben und jede Menge Leute gibt, die herumwuseln. Natürlich kommen wir auch an der prächtigen Canterbury Cathedral vorbei, die man eigentlich von allen Richtungen schon von Weitem sieht. Aber da wird uns dann schnell klar, dass man für die historischen Sehenswürdigkeiten ziemlich tief in die Tasche greifen darf: Der Eintritt in die Canterbury Cathedral kostet für einen Erwachsenen schlappe 14,- britische Pfund (ca. 16,70 EUR). Das tolle daran: dreiviertel der Kirche sind wegen Bauarbeiten gesperrt und gar nicht zugänglich. Da wären wir also wieder bei «sieh weniger, zahl gleich viel». Das hatten wir bereits einige Male auf unserer Reise. Wir lassen die Kathedrale eine Kathedrale sein und begnügen uns mit dem spärlichen Anblick von aussen – denn die Kathedrale ist quasi eingezäunt von den umgebenen Häusern und man sieht nur die Kirchturmspitzen. Egal, das verkraften wir auch so und wir setzen unseren Spaziergang durch Canterbury fort.
Eineinhalb Stunden später gelangen wir in einen Park, der typischer nicht sein könnte: perfekt gepflegter, saftig grüner Rasen, alles sauber ausgemäht, Blumen, ein Fluss quer durch die Anlage und die Besucher sonnen sich oder picknicken mit ihren Familien und Freunden. Kitschiger könnte es gar nicht sein. Gepflegte Gärten und Parks stehen bei den Engländern wirklich hoch im Kurs. Die erste Stadt, die wir in England besucht haben, hätte uns wohl nicht schöner willkommen heissen können. Nach einem ausgedehnten Nachmittag kehren wir dann mit dem Bus wieder zurück zu unserem Parkplatz.
Obwohl es auf solchen Plätzen eigentlich nicht ganz erlaubt ist, nehme ich trotzdem unsere Stühle aus der Garage und wir setzen uns hinter unser Wohnmobil in die Sonne und geniessen die wohltuende Wärme. Keine 5 Minuten später kommt auch schon der erste Nachbar aus seinem Wohnmobil neben uns und quatscht uns an: woher wir kommen, was wir machen und so weiter. Mittlerweile haben wir schon richtig viel zu erzählen, und wir finden begeisterte Zuhörer. Schnell kommen wir zum Thema «Tipps und Tricks für England» und wir bekommen so viele Hinweise, dass unser digitaler Notizblock fast überläuft. Das ältere Paar ist unglaublich hilfsbereit und schreibt uns später sogar alles noch zusammen – wo wir am besten und günstigsten Einkaufen können, welche Empfehlungen sie haben, was wir machen können. Wir fühlen uns grad richtig wohl und willkommen. An diesem und am nächsten Vormittag lernen wir so gut wie den ganzen (Motorhome-)Parkplatz kennen und haben spannende und informative Gespräche mit so gut wie allen Besuchern – denn die freuen sich unheimlich, dass wir Festland-Europäer die Insel besuchen. Jetzt sind wir also wirklich startklar für unser Grossbritannien-Abenteuer.
Wir verabschieden uns am nächsten Vormittag von allen, die wir noch treffen und fahren weiter in die nächste Stadt, die auf unserer Liste steht. Nein, es ist nicht London, obwohl es dorthin nur noch etwas mehr als 100 km wären. London haben wir uns tatsächlich für einen späteren Zeitpunkt aufgehoben. Dafür wollen wir uns Zeit lassen und sorgfältig planen. Nein, für uns geht es weiter nach Cambridge, DER Elite-Universitätsstadt neben Oxford. Hier lassen sich also die zukünftigen Superhirne unserer Welt ausbilden. Doch zuerst müssen wir uns einen Stellplatz suchen, an dem wir die Nacht verbringen können.
Im Vorfeld unserer Reise nach England sind wir bei unseren Recherchen auf ein System namens «Brit Stops» gestossen. Ähnlich wie bei der deutschen Variante «Landvergnügen» geht es grob um folgendes: Durch den Kauf eines Buches und der «Vignette» um umgerechnet rund 45 EUR erhält man als Information eine Übersicht über hunderte von Anlaufstellen, auf denen man für gewöhnlich eine Nacht gratis stehen kann. In der deutschen Variante von Brit Stops sind das häufig Landwirtschaftsbetriebe. Im Gegenzug sollte man dann bei der Übernachtung schlussendlich eine Kleinigkeit im Hofladen kaufen – was auch immer im Angebot ist: Eier, Speck, Würste, Milch. Soweit, so gut. Da wir die deutsche Variante ebenfalls kennen und probiert haben, entscheiden wir uns spontan auch dazu, Brit Stops eine Chance zu geben und kaufen die Vignette und das Buch in der Hoffnung, die ein oder andere schöne Nacht auf einer der vielen Farmen hier verbringen zu können.
Die Frage, ob (und für wen) sich Brit Stops lohnt, können wir mit einem ziemlich klaren «Jein» beantworten. Warum? Also gut, von vorne: als wir das Buch erhalten, sind wir erstmal begeistert von der riesigen Auswahl an Möglichkeiten. Doch beim genaueren Betrachten stellen wir fest, dass etwa 90 % des Übernachtungsangebots aus Pubs und Inn´s besteht. Das ist für uns schon einer der Haken: dies bedeutet natürlich, dass der Gastgeber erwartet, dass im Pub gegessen und getrunken wird. Tja – das ist dann halt wieder ein leidiges Thema. Klar, wer seine 2 Wochen Urlaub im Wohnmobil verbringt, kann jeden Tag essen gehen. Bei uns ist das aber nicht drinnen. Zumal in den Pubs ein Essen für gewöhnlich nicht unter 10 - 12 Pfund kostet, so würde uns das Essen mit Getränken für 2 Personen, und somit die Übernachtung, zusammengerechnet dann ziemlich schnell 30,- bis 35,- Pfund kosten. Für diesen Preis kann man dann auch an einen schönen Campingplatz gehen, an dem man alles hat was man braucht. Die Pubs bieten für gewöhnlich ja weder Strom noch Entsorgungsmöglichkeiten. Zu allem Überfluss stellen wir fest, dass so gut wie alle Orte aus dem Brit Stop Buch auch in der Park4Night-App zu finden sind. Die Pubs bieten ihren Service also sowieso an – ob man nun Brit Stop-Member ist oder nicht. Da ärgert es uns dann schon ein bisschen, dass wir dafür 45,- EUR bezahlt haben.
Wenn 90 % Pubs und Inn´s sind, was ist dann mit den restlichen 10 %? Gut, hier findet man dann tatsächlich die Farmer und die Kategorie «andere». Fangen wir mit den Farmen an: eine der wenigen Farmen, die ungefähr auf unserer Route lag, haben wir telefonisch kontaktiert, wie man es eigentlich machen sollte. Es ist April, mitten unter der Woche und die Osterferien sind vorbei. Ich erkläre am Telefon, dass ich das Brit Stop-Buch habe und frage nach, ob wir für eine Nacht bleiben dürfen. Die Antwort ist relativ schnell da: «Nein, leider gibt es keinen Platz». Okay, mag stimmen und wir müssen es akzeptieren – obwohl wir hier relativ selten ein Wohnmobil sehen und auch die Stellplätze in der Nebensaison, in der wir gerade sind, weit weg von ihrer Auslastungsgrenze sind. Dann wäre also noch die Kategorie «andere» aus dem Brit Stop-Buch - das sind für gewöhnlich «geheime» Stellplätze und Motorhome-Parks. Und wer davon ausgeht, dass diese nun wenigstens gratis sind, der irrt sich: im Brit Stops-Verzeichnis sind sie zwar drinnen, aber man bezahlt trotzdem 10 – 20 Pfund pro Nacht. Teilweise sind es gewöhnliche Parkplätze, natürlich ohne Strom oder Ver- und Entsorgung. Und – wer hat´s erraten? Genau: natürlich sind auch diese Stellplätze in der Park4Night-App zu finden.
Schlussendlich sind wir von Brit Stop sehr enttäuscht. Für unsere Art des Reisens ist das absolut ungeeignet. Man darf es nicht falsch verstehen: gerne unterstützen wir einen lokalen Bauern oder eine Farm, wenn wir deren Produkte kaufen und dafür eine Nacht auf ihrem Anwesen verbringen dürfen. Aber Essen und Trinken in einem Pub ist etwas, das wir höchst selten machen. Auf einer längeren Reise spielt sich das einfach nicht. Und wozu haben wir eine Küche und einen Herd im Camper? Daher war Brit Stop für uns reine Geldverschwendung und würden es nicht mehr kaufen. Wem es aber egal ist und wer seine Reise gerne durch die traditionellen Pubs quer durch England plant, dem können wir Brit Stop wärmstens empfehlen. Prost-Mahlzeit!