Cambridge
Damit wir Brit Stops aber nicht ganz umsonst gekauft haben (für Infos zum Brit Stops-System, wie es funktioniert und unser Fazit siehe Bericht
Welcome to the Royals), gehen wir zumindest doch einmal in ein Pub. In Cambridge haben wir uns eine Übernachtungsmöglichkeit in einem der Vororte herausgesucht und müssen dann eben in den sauren Apfel (bzw. in das Pub-Essen) beissen. Hier ist ein vorheriger Anruf nicht notwendig und wir fahren einfach hin. Wir steigen aus, nehmen unser Buch, gehen zum Tresen und erklären, dass wir die Nacht gerne bleiben würden. Irgendwie hat es einen Bettel-Charakter, aber die Dame ist wirklich ausgesprochen freundlich zu uns und erklärt, wo wir am besten Parken sollen. Und sie entschuldigt sich gleichzeitig dafür, dass sie genau am heutigen Tag kein Essen servieren, da die Küche geschlossen ist. Gut, für uns ist das aus den oben genannten Gründen eher weniger tragisch. Uns freut es sehr, dass es – obwohl wir uns über unseren Brit Stop-Fehlkauf geärgert haben – dieses Mal so gut funktioniert. Wir platzieren uns an den vorgesehenen Platz, packen unsere Fahrräder aus und strampeln nach Cambridge.
Als wir im Stadtzentrum eintreffen ist es schon fast 16 Uhr. Entsprechend kurz wird unsere Erkundungstour. Aber trotzdem gefällt uns das schicke Uni-Städtchen ausgesprochen gut. Und als wir die Universitätsgebäude sehen bereue ich es zutiefst, dass ich nicht hier studiert habe. Die Gebäude gleichen eher barocken Schlössern oder Kathedralen. Tja, studieren mit Stil – hier in Cambridge bekommt man schon als Student das Gefühl, elitär zu sein. Doch wer nun davon ausgeht, dass hier jeder mit Schlips und Anzug herumläuft, der irrt sich: so manch eine(r) läuft mit blau oder pink gefärbten Haaren, zerrissenen Jeans oder in ultradarken Gothik-klamotten mit schwarz geschminkten Augen, Lippen und Fingernägeln herum. Ganz normale Leute eben.
Unser Besuch fällt entsprechend kurz aus, trotzdem können wir einige der imposanten Gebäude auf unserer Speicherkarte festhalten. Doch bald machen wir uns wieder auf den Heimweg, zu Frida, die friedlich auf dem Pub-Parkplatz auf uns wartet. Nach unserem Besuch im Pub bereiten wir unser Abendessen zu und ziehen ein erstes Resümee. Denn so ganz wissen wir noch nicht, was wir von England halten sollen.
Mit dem Wohnmobil in England
Moment mal – was ist das Problem? Also – das ist recht einfach erklärt: wir sind verwöhnt. Denn etwas, über das wir uns in vielen Ländern, in denen wir bisher waren, kaum Gedanken machen mussten, ist hier doch wieder etwas verzwickter: die Suche nach einem Übernachtungsplatz. Wer unsere Geschichte bisher etwas verfolgt hat weiss, dass wir für gewöhnlich nicht von Campingplatz zu Campingplatz reisen. Wir ziehen es vor, lieber in der Natur zu stehen, zu improvisieren und relativ schnell entscheiden zu können, wohin wir gehen. Besonders einfach ist es in Frankreich, Spanien oder Portugal, etwas Adäquates zu finden – vor allem wenn man nicht auf einen Stell- oder Campingplatz möchte gibt es viele (legale!) Alternativen. Teilweise bieten Gemeinden Plätze an, wo sich Reisende mit Wohnmobil für 1 bis 3 Tage kostenlos oder sehr preiswert hinstellen können. In Spanien ist es sowieso erlaubt, an jedem offiziellen Parkplatz zu übernachten (sofern man es nicht übertreibt und dort «einzieht»). Aber in England ist das nicht so einfach. Die Anzahl an Plätzen und Möglichkeiten ist wesentlich eingeschränkter. Ein einfacher Stellplatz ohne Versorgungsmöglichkeiten kostet schnell mal 20,- Pfund (etwa 24,- EUR), Campingplätze verlangen in der Regel ab 25,- Pfund aufwärts, gerne auch 30,- Pfund (etwa 36,- EUR). Fast alle öffentlichen Parkplätze kosten Geld, selbst in der Pampas an einem Wanderparkplatz weit weg von einer Stadt oder einem Dorf sind Parkgebühren fällig. Nicht selten 2 – 2,5 Pfund pro Stunde. Ausgelöst hat vieles die «Pandemie», so erzählt es uns eine Nachbarin an einem Stellplatz. Noch vor zwei, drei Jahren hat der Platz, an dem wir jetzt stehen, gerade mal etwas mehr als die Hälfte gekostet. Jetzt sind auch die einfachsten Stellplätze nicht mehr unter 20,- Pfund zu bekommen. Auch hier in England sind die Wohnmobile und Caravans in Mode gekommen, im Lockdown hat jeder alles gekauft, was verfügbar war, um im eigenen Land zu reisen. Und nun schiessen die Preise für diese Branche in die Höhe. Egal wo man hingeht, an einem Wohnmobil hängt automatisch ein Dollar/Euro/Pfund-Zeichen und ist bereit, ausgenommen zu werden.
Gedanken
Das beschäftigt uns ein wenig. Natürlich sind wir jetzt gerade besonders sensibel auf dieses Thema. Unser Plan, 5 Jahre zu reisen, hat Halbzeit. 2 ½ Jahre sind wir jetzt auf Tour. Bisher ist es uns immer gelungen, unsere gesteckten Ziele (abgesehen vom ganzen Pandemie-Wahnsinn und der eingeschränkten Reisefreiheit) zu erreichen, auch wenn wir unzählige Male zurückschrauben, umplanen oder umkehren mussten. Zumindest in finanzieller Hinsicht. Doch es wird von Monat zu Monat schwieriger. Und zum ersten Mal kommt uns der Gedanke, wie weit wir mit unserem Reiseguthaben noch kommen. Im selben Augenblick wird uns bewusst, wie viele schöne Abenteuer wir erleben dürfen, wie viele nette Menschen wir kennengelernt haben und welch wunderbare Länder wir bisher bereisen durften. Wir reden über alles – das Weitermachen und unsere nächsten Ziele, aber manchmal mischen sich auch Gedanken über das «Aufhören» drunter. Ist es Zeit, sich darüber Gedanken zu machen? Der Exit vom Exit? Ist es eine Option, wieder in das alte Leben zurückzukehren? Wieder sesshaft zu werden, zu arbeiten, wieder in das 9-to-5-Hamsterrad einzusteigen? Können wir das überhaupt noch?
Wir ertappen uns dabei, wie wir mögliche Strategien besprechen, wie weit es noch geht, und auch, wann Schluss ist. Was unbedingt noch aus unserer Bucket-List abgehakt werden muss und was nur noch «Nice-to-have» wäre. Als wir gestartet sind war für uns klar: ALLES muss, keine Kompromisse. Und nur ein paar Monate später hat uns das Leben mit einem breiten Grinsen den Mittelfinger gezeigt und unmissverständlich erklärt, dass nicht WIR das Sagen haben und wo die (offenen) Grenzen sind, sondern das – was ist es? Das Schicksal? Karma? Heute sind wir froh, dass wir uns damals nicht einfach gefügt haben, sondern für unseren Traum eingestanden sind, weitergemacht haben und die Wege gegangen sind, die möglich waren. Am Mittelfinger vorbei, mit einem lächelnden «Du kannst mich mal» im Gesicht. Heute wissen wir, dass es kein Fehler war – denn keiner von uns bereut auch nur eine Sekunde von der Zeit, die wir seit unserem Reisebeginn verbracht haben. Die schönen, die aufregenden, die lustigen Momente, aber auch die traurigen – keinen davon wollen wir missen. Doch was bringt uns die Zukunft? Im Osten herrscht Krieg, die Preise explodieren an allen Ecken, bald kommt der Herbst und zwangsläufig wird spätestens dann die Pandemie-Maschinerie wieder in Gang gebracht und die nächsten sinnlosen Lockdowns und nutzlosen Eindämmungsbeschränkungen ausgerufen. Wir wollen noch gar nicht wissen, was uns dann alles erwartet. Aber es macht uns jetzt schon müde, mürbe und ringt uns ein innerliches Dauer-Augenrollen ab. Wir sind es leid, die ganzen Stolpersteine zu umschiffen und wollen gerne wenigstens einmal ganz normale Reisende mit ganz normalen Reiseproblemen sein. So wie es früher mal war.
York
Doch zurück nach England, diese wunderschöne, grüne Insel, die uns wirklich gut gefällt. Unser nächstes Ziel auf dem Weg nach Norden lautet York. Und das ist eine der geschichtsträchtigsten Städte Englands. Nun gut, das könnte man wahrscheinlich fast von jeder Stadt hier schreiben. Ich muss mich mit den Geschichtserzählungen in unserem Blog unbedingt zurückhalten, sonst verliere ich mich wirklich in der Jahrtausende alten Geschichte über England, dem Land der Römer, der Sachsen, der Angeln, der Wikinger, der Dänen, der Normannen. Die Geschichte der Könige und Kaiser, der Herrscher, der Kriege, der Kirche. All das, was uns beide sehr fasziniert. Doch die Geschichte Englands lässt sich auf anderen Seiten im Netz viel besser erkunden, als ich es jemals zusammenfassen könnte. Deswegen nur kurz das Wesentliche zu York und seiner Historie.
Die mystische Metropole in der geheimnisvollen Moorlandschaft zieht jährlich tausende Besucher an – eben genau wegen der spannenden Geschichte. York, die «ewige Stadt», hat zahllose epische Schlachten erlebt und war (und ist) Heimat verschiedenster Kulturen. Etwa um 70 n.Chr. wurde mit einem römischen Legionslager der Grundstein für die Stadt «Eboracum» gelegt und war fortan ein wichtiger Regierungssitz Nordbritanniens und Ausgangspunkt vieler Feldzüge. Zu Beginn des 5. Jahrhunderts zogen sich die Römer aus Britannien zurück, und die Angelsachsen übernahmen die Herrschaft über die Stadt und die Grafschaft Northumbria. Ab dem 7. Jahrhundert fand die Christianisierung statt, und York wurde Bischofsitz. Lange dauerte es nicht, denn im Jahr 866 n. Chr. wurde York durch die Skandinavier und deren «heidnisches Heer» erobert. Etwa 10 Jahre später wurden sie in den Gegenden sesshaft, und nordische Könige regierten die Gegend und die Stadt, die sie zunächst «Eoforwik» und später «Jorvik» nannten. Doch die Wikinger konnten sich nur etwa 1 Jahrhundert lang behaupten, bevor das Gebiet mit dem angelsächsischen Reich verschmolz.
Um das Jahr 1066 kam es im gesamten Norden zu einer Invasion der Normannen, wodurch viele Teile Yorks und Northumbrias völlig verwüstet wurden. Nach deren Übernahme wurde an jedem Ufer der Ouse eine Burg errichtet und die Stadt in das heute bekannte «York» umbenannt. Danach sollte in die Geschichte Yorks endlich etwas mehr Ruhe einkehren. Im Verlauf des Mittelalters florierte die Stadt, etwa 45 mittelalterliche Pfarrkirchen wurden errichtet und die gesamte Stadt mit einer Stadtmauer umzogen, die die Stadttore miteinander verband. Im 16. und 17. Jahrhundert verlor die Stadt jedoch zusehends an Wichtigkeit. Im Englischen Bürgerkrieg zwischen Parlament und dem englischen König wurde die Stadt 1644 von den Parlamentariern eingenommen und gewann so wieder an Bedeutung für den Norden Englands. Und wer sich schon immer gefragt hat, ob «New York» etwas mit York zu tun hat: ja, hat es: denn im selben Jahr, 1644, wurde die bis dahin niederländische Siedlung Nieuw Amsterdam (Neu Amsterdam) in den Vereinigten Staaten von Amerika von britischen Truppen erobert, und zu Ehren des Oberbefehlshabers, dem Herzog von York und späteren König Jakob II, in «New York» umbenannt – sowohl die Stadt, als auch der umgebende Staat. 1660 war York bereits wieder die drittgrösste Stadt Englands. Heute hat York etwa 210.000 Einwohner.
Wir finden eine schöne Farm, die nahe genug an York liegt, um mit dem Fahrrad in die Stadt zu gelangen. Das klappt dann auch ganz wunderbar, und so erreichen wir nach gut 30 Minuten bereits das Stadtzentrum. Schon die ersten Blicke auf die geschichtsträchtigen Mauern und Gebäude faszinieren uns. Wir besuchen zunächst ein Tourist-Office, um einen Stadtplan zu bekommen. Für heute steht eine «Free-Walking-Tour» auf dem Plan. In Mexico sind wir auf den Geschmack gekommen, und das ist tatsächlich eine wunderbare Möglichkeit, die interessantesten und spannendsten Plätze einer Stadt kennenzulernen und einen kleinen Überblick zu bekommen. Die Dame, die uns durch die Gassen von York führt, weiss bestens über die Geschichte Bescheid und erklärt uns auf sehr humorvolle Art alles Wissenswerte über die Stadt. Wir geniessen die Tour wirklich sehr und sind froh, dass wir dabei sein durften. Natürlich kommen wir auch am imposanten, mächtigen Münster von York vorbei, welches unübersehbar im Stadtzentrum thront. Im Münster selbst können heute noch Überreste der römischen Siedlung aus den ersten Jahrhunderten nach Christus bestaunt werden. Es ist nach Köln die zweitgrösste gotische Kathedrale in Nordeuropa und es dauerte 250 Jahre, um sie zu errichten.
Und die zauberhaften, schmalen Gassen die sich quer durch die Stadt ziehen, treffen wieder einmal genau unseren Geschmack. Beim Spaziergang durch die Shambles fühlen wir uns um ein paar Jahrhunderte zurückversetzt. Natürlich machen wir uns auch auf den Weg, um die Stadtmauern zu erkunden. Diese führen ja, wie oben erwähnt, komplett um die Stadt herum und sind heute noch frei zugänglich. Das ist zwar imposant, aber ehrlicherweise muss ich eingestehen, dass wir schon über eindrücklichere Stadtmauern spaziert sind. Trotzdem ist es eine schöne Möglichkeit, etwas über die Dächer von York zu sehen. Wir erreichen schlussendlich York Castle und den Clifford's Tower.
English Heritage
Da die meisten historischen Sehenswürdigkeiten nicht gerade wenig Eintrittsgeld kosten, haben wir uns seit einigen Tagen überlegt, eine Jahresmitgliedschaft bei entweder «English Heritage» oder dem «National Trust» abzuschliessen. Beides sind Organisationen, die sich im weitesten Sinne der Denkmalpflege widmen. Im Schnitt fallen pro Schloss, Abbey oder was auch immer auf dem Programm steht, etwa 10 – 18 Pfund Eintritt pro Person an. Das kann sich relativ schnell summieren. Wer aber bei einer dieser beiden Organisationen eine Mitgliedschaft abschliesst, hat auf viele der Sehenswürdigkeiten freien Eintritt. Wir kommen zum Schluss, dass es sich für unsere Zeit eigentlich auszahlen müsste. Wie es der Zufall will, ist der Clifford’s Tower im Programm von English Heritage, und da man eine Mitgliedschaft auch direkt dort abschliessen kann, machen wir das kurzerhand. Wir haben Glück und bekommen ein lohnendes Rabatt-Angebot. Somit sind wir also nun offiziell Mitglieder des English Heritage-Programms, was sich bei uns relativ bald auszahlen soll. Unser erster Besuch gilt nun aber dem Clifford’s Tower, und die ersten 20 Pfund haben wir bereits wieder herinnen. Fairerweise muss ich allerdings gestehen, dass wir ansonsten nicht reingegangen wären, denn so gross ist der Clifford’s Tower nicht. Aber die Aussicht über York ist schön.