Am Ende gilt doch nur, was wir getan und gelebt – und nicht, was wir ersehnt haben.
Arthur Schnitzler
In Solitaire dürfen wir wieder einmal Autoruinen bestaunen. Die Wracks stehen kreuz und quer überall auf dem Gelände herum und ermuntern uns, unsere Fotokamera rauszuholen. Natürlich gibt es im Anschluss den versprochenen Apfelkuchen, der, unsere ganze ehrliche und subjektive Meinung, zwar lecker ist, aber nicht unbedingt der Beste, den wir jemals hatten. Aber es wird ja behauptet, es sei der beste Apfelkuchen Namibias, und da es bisher der einzige war den wir hier gegessen haben können wir es also bestätigen, dass es bislang der Leckerste ist. Vor lauter Aufregung vergessen wir ganz, ein Bild davon zu machen. Aber immerhin gibt’s Autowracks, die wir digital festhalten.
Im Bushman Camp gibt es nur an der Rezeption Strom. Internet oder WIFI gibt es nicht. Das ist zwar wieder einmal wundervoll, aber uns plagt die «Arbeit» ein wenig. Wir wollten gerne die nächsten Tage in Namibia vorab recherchieren und planen, wie es genau weitergeht. So schön es klingt, fernab von digitalen Einflüssen zu sein – aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Gerade wenn man planen möchte, wo man hinfährt, schauen welche Campsites es gibt und was man gerne noch ansehen möchte, dann ist es eben schon sehr angenehm, wenn man ein digitales Netz zur Verfügung hat. Wir dachten ursprünglich, wir können das hier alles recherchieren, aber die Kommentare in der iOverlander-App, die wir hier benutzen, waren wohl falsch. Generell sind wir von iOverlander nicht ganz so überzeugt wie von Park4Night – denn die funktioniert in Europa in, sagen wir mal 95 % der Fälle, wirklich einwandfrei. Man bekommt relativ schnell ein Gefühl dafür, wie Park4Night «tickt». Aber mit iOverlander werden wir nicht so ganz warm. Was sicherlich auch daran liegt, dass die Einträge in der App teilweise 3 oder 4 Jahre alt sind. Klar, Namibia ist touristisch nicht so erschlossen wie andere Länder. Dazu kommen die letzten 2 Jahre, wo es zusätzlich aufgrund der weltweiten Grippe-Panik so gut wie keinen Tourismus gegeben hat. Aber gut – zusammenfassend: iOverlander bringt uns nur teilweise und sehr unzuverlässig weiter – zumindest hier in Namibia.
Lange Rede, kurzer Sinn: so gerne wir einen weiteren Tag hier verbracht hätten, so sehr wollen wir auch die restliche Zeit in Namibia planen, damit wir sie effizient nutzen können. Denn wir wollen natürlich so viel wie möglich von diesem wunderbaren Land mitnehmen. Also brechen wir am nächsten Morgen zu unserem nächsten Ziel auf. Wir verabschieden uns von Michael und Ines – aber wir sind uns ziemlich sicher, dass wir uns wieder über den Weg laufen werden.
Unsere Fahrt geht weiter nach Swakopmund. Es heisst, Swakopmund sei die «deutscheste Stadt Namibias». Na, da sind wir mal gespannt. Als wir vom Bushmans wegfahren, kratzen wir wieder einmal an der 30-Grad Marke – schon am Vormittag. Die Tour dorthin führt uns erneut durch bizarre Landschaften, zerklüftete Canyons, unglaublich lange Schotterpisten und wilde Passstrassen. Dieses Gefühl ist einfach unbeschreiblich. Am liebsten würde ich nach jedem dieser traumhaften Abschnitte umdrehen und sie nochmals fahren, und nochmals. Einfach so, weil es so schön ist, und ich mich nicht sattsehen kann.
Swakopmund ist wirklich deutsch. Also deutscher geht es in Namibia nicht. Die meisten Strassen tragen hier deutsche Bezeichnungen, wie etwa «Platz am Meer», die «Wörmann Strasse» oder die «Hafen Strasse», es findet sich ein «Brauhaus», ein «Waffelhaus» und eine «Deutsche Buchhandlung». Ein historisches Gebäude heisst «Hohenzollernhaus», und unsere Unterkunft heisst «Alte Brücke Resort». Die Stadt wurde 1892 von deutschen Kolonisten gegründet. Seit dieser Zeit hat sich zwar einiges verändert, aber die Ursprünge lassen sich nicht leugnen.
Am nächsten Morgen geht’s zu Fuss dann in die altehrwürdige deutsche Metzgerei und Bäckerei im Zentrum der Stadt. Hier gibt es alles, was das mitteleuropäische Herz in Afrika sonst vermisst: Bratwurst, Leberkäse, knuspriges Brot und allerlei schmackhafte Süssigkeiten. Wir geniessen mit Conny und Bernd ein wirklich herzhaftes Frühstück und gönnen uns allerlei Produkte aus unserer alten Heimat – und stellen fest: es schmeckt wirklich wie zuhause!
Wir schliessen auch noch eine weitere Freundschaft. Schon seit unserem Reisebeginn im Jahr 2019 wissen wir von unserem Bekannten Dominic, dass einige seiner Verwandten in Namibia leben. Gut, vor 3 Jahren war das noch so weit weg und undenkbar. Doch jetzt – 2023 – ist es tatsächlich so weit, dass wir in Namibia sind. Es ist der Onkel unseres Bekannten aus Vorarlberg, der hier schon «ein paar» Jahre lebt. Kennen tun wir ihn natürlich nicht, aber ich habe seine Nummer bekommen und schreibe ihm kurzerhand eine Nachricht und erkläre ihm, wer wir sind und dass wir in der Stadt sind. Die Antwort kommt prompt und keine 2 Minuten später: Er würde sich sehr freuen, uns zu treffen und kennenzulernen. Wow, damit hätte ich gar nicht gerechnet – und am nächsten Tag treffen wir Hubert, ein Vorarlberger Urgestein, der vor knapp 50 Jahren (!) nach Namibia ausgewandert ist. Der wiederum freut sich riesig, dass er unseren Dialekt reden kann. Er nimmt uns sofort mit auf eine Tour mit dem Auto, macht mit uns eine Stadtrundfahrt und lädt uns dann noch zu einem Kaffee in seinem Haus am Rand der Stadt ein. Dort erhalten wir unglaublich viele, wertvolle Tipps für unsere weitere Reise durch den Norden Namibias. Er kennt sich logischerweise allerbestens in seinem Land aus und weiss, wovon er redet. Und tatsächlich werden wir im Lauf unserer Namibia-Reise noch einige Male von seinen Tipps und seinem Wissen profitieren, welches wir uns gerne geduldig aufnotieren. Vielen Dank, Hubert!
Unser Weg führt zunächst durch ein Gebiet, das «Mondlandschaft» genannt wird. Natürlich brauche ich nicht zu erklären, wie es aussieht. Aber die Bezeichnung trifft den Nagel auf den Kopf. Es sieht einfach – wieder mal – genial aus. Seit Tagen bekommen wir Geschichten von einer berühmten Pflanze zu hören, die offensichtlich ein wahres Naturwunder sein muss und nur hier wächst. Eines der ältesten Exemplare davon ist mitten in dieser Mondlandschaft zu finden. Die Rede ist von der «Welwitschie». Sie ist offenbar die einzige Art der Gattung Welwitschia, wächst nur hier – und das seit sage und schreibe 112 Millionen Jahren. Klingt ziemlich beständig. Das oben erwähnte Exemplar finden wir nach gut 2 Stunden Anfahrt durch die Mondlandschaft. Zugegeben, besonders schön finde ich diese Pflanze nicht. In manchen Gebieten der zentralen Namib ist die Welwitschie die dominante Pflanze. Die höchste Dichte erreicht sie in einer Entfernung von 50 bis 60 km von der Küste. Das Zentrum der Verbreitung ist die „Welwitschia-Vlakte“ (Welwitschia-Fläche) im Dreieck zwischen Khan und Swakop-Rivier – also genau das Gebiet, in dem wir uns nun befinden. Die Gesamtzahl in diesem Gebiet wurde auf 5.000 bis 6.000 Pflanzen geschätzt. Die älteste bekannte Welwitschia steht genau vor uns. Carbondatierungen haben ergeben, dass sie rund 1.500 Jahre alt sein muss. Und so sieht sie auch aus. Wir machen ein paar Fotos davon, aber es war jetzt nicht die Erfahrung unseres Lebens. Nach gut 20 Minuten machen wir uns auf den Rückweg. Oder genauer gesagt geht es nun Richtung Norden – zur Spitzkoppe.
Hier treffen wir erneut auf eine unglaublich bizarre Felsformation. Aufgrund der markanten Form wird die 1.728 m hohe Spitzkoppe auch das «Matterhorn Namibias» genannt und gehört zu einem der meistfotografierten Motive Namibias. Zurecht, wie wir finden! Schon die Anfahrt ist abenteuerlich, die Aussicht auf das Ziel spektakulär. Natürlich auf einer Schotterpiste sehen wir die Spitze des Berges schon von gut 50 km Entfernung. Es ist wirklich interessant – es ist hunderte Kilometer rundherum flach wie Holland, nur irgendwo in der Mitte steht plötzlich ein Berg wie die Spitzkoppe.
Ich kann es wieder mal nicht fassen, wie extracool das alles hier aussieht! Wenn jemals ein Steinzeitfilm gedreht wird, dann MUSS es hier geschehen. Es sieht aus wie das Felsental, in dem die Familie Feuerstein wohnt. Echt – genau so stelle ich mir eine prähistorische Stätte vor. Man kann es nicht beschreiben, man muss es sehen. Auch andere haben sich hier übrigens von den ocker-braunen, extravaganten Felsformationen inspirieren lassen. Denn dieses Gebiet war bereits Schauplatz für Spielfilme wie «10.000 B.C.», der Endzeit-Kracher «Mad Max – Fury Road» oder der kürzlich erschienene Actionfilm «Monster Hunter» mit Milla Jovovich. Einfach genial, wie ich finde.
Finden tun wir auch einen Platz für uns und unseren Maxwell. Hier ist alles – wie wir es gewohnt sind – wieder so weit auseinander, dass man den Nachbarn nicht sieht, geschweige denn hört. Unsere Sicht ist perfekt auf die Spitzkoppe ausgerichtet. Auch zum nahegelegenen Felsbogen, der gerade zum Sonnenuntergang eine ganz spezielle Kulisse bietet, ist es zu Fuss nicht sehr weit. Nachdem wir unser Zelt aufgestellt und unser Zeug hergerichtet haben, ist es schon späterer Nachmittag. Höchste Zeit, um die Attraktionen wie die «Natural Pools», die jahrtausendealten Felsmalereien und den Felsbogen in dem weitläufigen Gebiet zu erkunden. Es ist unbeschreiblich. Ich tue mir zum ersten Mal richtig schwer, diese Eindrücke auf digitales Papier zu bringen. Man will alles einfangen, fotografiert jede Ecke und jeden Stein. Man will den Moment festhalten. Die Farben, das Licht, das Empfinden. Man will hier in eine Steinhöhle ziehen und so tun, als wäre man der Nachbar der Geröllheimers. Und würde ein Brontosaurus durchlatschen, wäre ich nicht mal sonderlich überrascht. Dieses ursprüngliche, reine, puristische Gefühl. Ach was schreib ich lange – schaut euch die Fotos an und geniesst den Augenblick mit mir.
Bei der Ausfahrt muss ich einfach an der «Rezeption» stehen bleiben. Ich sage den zwei Ladies, die drinnen sitzen, wie fasziniert ich von dieser Campsite und von der Spitzkoppe war, und auch wie schön es hier ist. Es ist mir einfach ein Bedürfnis, das zu sagen. Man darf auch loben. Sie sind beide zunächst sehr überrascht und freuen sich über die unerwartete Wertschätzung. Als Dank bekomme ich ein paar Geschichten über die letzten Dreharbeiten, die hier stattgefunden haben, zu hören. Sie freuen sich ungemein, dass sich jemand aus Freude bedankt, und wünschen uns eine gute Weiterreise.