Auf geht es zu einer der Grands Sites De France: Pont du Gard – sprich «Pohdügahr». Meinen allertiefsten Respekt vor den Menschen, die erfolgreich französisch gelernt haben. Eine Sprache, die zunächst mal komplett anders gesprochen als geschrieben wird. Wörter mit gefühlten 28 Buchstaben, bei denen man nur den ersten und den vielleicht vierten Buchstaben tatsächlich ausspricht. Chateaux, äh pardon: Chapeau. Immerhin konnte ich mir einen sehr wichtigen Satz auf Französisch selbst beibringen: «Schöne Parle Pafrosäh» (Je ne parle pas francais). Mit diesem Satz erkläre ich jedem, der es wissen möchte, dass ich kein Französisch spreche – und das auf Französisch! Es wird scheinbar verstanden, zumindest nehmen es die meisten Franzosen wohlwollend mit einem leicht lächelnden Nicken auf. Es könnte aber auch sein, dass ich ihnen mit diesem Satz erkläre, dass der Hamster meines Onkels unseren Fernseher gefressen hat. Wie auch immer – die meisten reden dann munter weiter drauf los, denn es ist ja gelogen, dass ich kein Französisch kann. Halt nur diesen einen Satz. Ich drehe mich im Kreis – kommen wir zurück zu unserer Reise: Pont du Gard.
Das hat mir vorerst mal überhaupt nichts gesagt. Gard klingt für mich nach Garde – also dachte ich an eine Wachablöse. Weiter weg hätte ich mit meiner Vermutung nicht liegen können. Pont ist auf Deutsch die Brücke, und Gard ist ein Fluss. Ergo: Brücke über den Fluss «Gard». So einfach. Und als ich dann ein Bild davon gesehen habe, hatte ich sofort das Gefühl, dieses Bauwerk schon tausende Male auf Bildern und Berichten gesehen zu haben. Umso grösser ist die Vorfreude – denn, wie schon mehrfach erwähnt, bin ich ein grosser Geschichtsfan, und der altrömische Einfluss ist hier in der Provence überall und an jeder noch so kleinen Ecke spürbar. Nach unserem Frühstück machen wir uns auf den Weg, der nicht besonders lange ist. Gerade mal 20 Minuten brauchen wir von unserem Stellplatz bis zum Parkplatz dieser römischen Glanzleistung der Baukunst. Ein Tipp für alle, die vielleicht ebenfalls vorhaben, den Ort zu besuchen: wer das Eintrittsticket auf der offiziellen Seite
/www.pontdugard.fr/de vorab im Internet kauft, kommt etwas günstiger davon und spart sich den ein oder anderen Euro. Zudem ist im Ticketpreis auch die Gebühr für den Parkplatz enthalten.
Mit dem gekauften Ticket sollte man bei Parkplatz den Barcode scannen und dann durch die Schranke fahren können. So viel zur Theorie. Wir haben den QR-Code am Handy und versuchen etwa 3 Minuten lang, den Leser vor der Schranke davon zu überzeugen, dass er das auch vom Handydisplay ablesen können muss. Geduld zahlt sich aus, schlussendlich öffnet sich die Einfahrtsschranke und wir können reinfahren. Wir sind nicht sicher, ob jemand am Schalter Mitleid mit uns hatte oder ob es technisch tatsächlich funktioniert hat.
Wir stellen fest, dass das Gelände und auch der komplette Eingangsbereich wirklich sehr schön und umfangreich gestaltet ist. Das Museum, dass sich hier in der unteren Etage befindet, wollen wir erst besichtigen, nachdem wir das Bauwerk «live» gesehen haben. Nach gut 1 km Fussweg sind wir dann endlich am Ziel – und vor lauter Faszination und Staunen steht mir glaube ich der Mund offen. Es ist noch viel eindrucksvoller, als ich mir vorgestellt habe. Was für die einen nur alte Steine sind, ist für mich ein Wunderwerk der Ingenieurskunst einer antiken Weltkultur. Ich bin froh, dass Magdalena auch so geschichtsbegeistert ist und alles mit mindestens dem gleichen Erstaunen aufnimmt wie ich. Unsere Handys sind parat, die Szene in Bildern einzufangen. Wir machen erstmal aus allen möglichen Blickwinkeln und von allen möglichen Aussichtspunkten Fotos – was wir spätestens beim Aussortieren wieder bitter bereuen. Aber das Wetter und der morgendliche Sonnenschein lassen das Werk in einem ganz besonderen Licht erstrahlen. Das muss natürlich festgehalten werden.
Wieder mal etwas Geschichte für Anfänger: Pont du Gard ist auch eine Brücke, aber vielmehr diente dieses im 1. Jahrhundert (die Historiker sind sich nicht ganz einig, aber Ausgrabungen deuten auf ca. 50 n. Chr. hin) errichtete antike Bauwerk als Aquädukt. Das muss man sich mal vor Augen führen: es handelt sich um ein fast 2.000 Jahre altes Kulturerbe! Doch wozu braucht man ein Aquädukt? Das, was heute so selbstverständlich aus dem Wasserhahn kommt, musste früher schwierig und aufwändig von der Quelle – der heutigen Kleinstadt Uzès - zum Ziel, in diesem Fall die Stadt Nimes, die damals schon rund 20.000 Einwohner hatte, transportiert werden. Und das alles mit simpler Schwerkraft. Die gesamte Strecke beträgt gute 50 km – und das Gefälle auf diesen gesamten 50 Kilometer betrug gerade mal 12 Meter. METER! Es ist nahezu unglaublich, mit welcher Präzession die Römer mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mittel damals gebaut haben. Ich habe Arbeiten von Fliesenlegern gesehen, die schafften ungewollt 12 Meter Gefälle in einem einzigen Badezimmer. Nein, Scherz beiseite: man muss bedenken, dass sie damals Täler durchqueren und Flüsse überqueren mussten. Und etwa zwei Drittel der Strecke verlief unterirdisch und musste in bzw. durch den Felsen gehauen werden.
Ich glaube, man merkt mir die Euphorie an, und es gäbe noch hunderte von unglaublichen Fakten über Pont du Gard und die Wasserlinie, die ich aber nicht alle nennen kann, da ansonsten der ein oder andere Leser einschlafen könnte. Trotzdem noch einige Eckdaten und Fakten: Der Pont du Gard ist die höchste Aquäduktbrücke der römischen Welt. die 48,77 Meter hohe Brücke besteht aus 3 Ebenen: die Untere Ebene mit 6 Bögen, die mittlere Ebene mit 11 Bögen und die obere Ebene mit 35 Bögen. Aufgrund der Verengung zum Flussverlauf beträgt die Spannweite der untersten Etage nur 142,35 m, während die oberste Etage mit 490 m (wovon etwa 130 m zerstört sind) fast viermal so lang ist. Dort verlief auch der Wasserkanals selbst, der pro Tag etwa 35.000 m3 Wasser für die Brunnen in Nimes transportierte und dort die Thermen, Springbrunnen und Latrinen versorgte. Somit stand jeder Person in Nimes rechnerisch fast 2 m3 Wasser pro Tag zur Verfügung. Jedoch war – wie so oft – leider auch der Status und das Ansehen einer Person oder Haushalts entscheidend, wer Wasser bekam und wer nicht. Ab etwa dem 9. Jahrhundert wurde die Pflege der Wasserleitung zusehends vernachlässigt und sie wurde bald auch unbrauchbar. Bis ins 18. Jahrhundert hinein, als längst kein Wasser mehr durch die Leitung floss, wurde der Pont du Gard als Straßenbrücke genutzt, teilweise wurden Pfeiler abgetragen oder verjüngt und eine zusätzliche Ebene für den Fussgängerverkehr geschaffen. 1985 kommt das Bauwerk dann endlich in die Liste der UNESCO als Weltkulturerbe und weitere bauliche Schandtaten wurden seitdem verhindert.
Wir verbringen so gut wie den ganzen Tag auf dem wirklich sehr schön gestalteten Gelände am Fluss Gard. Von nahezu jeder Position und Perspektive sieht man das imposante Konstrukt, an dem man sich kaum sattsehen kann. Auf den Wanderwegen kann man der alten Wasserlinie folgen und die Geschicke der römischen Handwerker und Ingenieure hautnah erleben. Geschichte zum Anfassen. Familien verbringen hier mit ihren Kindern den Nachmittag, Picknicken im Schatten des Wunderwerks und lassen die Stimmung auf sich wirken. Wie wir.
Als sich der Tag langsam dem Ende neigt, machen wir noch einen Spaziergang durch die in der Nähe angelegte Gartenanlage und besuchen zum Abschluss des Tages das Museum. Was uns – gelinde gesagt – nochmals von den Socken haut, denn was hier geschichtlich aufgearbeitet wurde, ist mehr als vorbildlich. Es «kostet» uns gute eineinhalb Stunden bis wir mehr oder weniger alles gesehen haben. Staunen ist vorprogrammiert. Wir können nur jedem den Tipp weitergeben: Pont du Gard sollte keinesfalls auf der Liste fehlen, wenn ihr in Südfrankreich unterwegs seid – es lohnt sich!
Leider geht dieser wunderschöne Tag viel zu schnell zu Ende. Wir kommen zurück zu Frida, die geduldig auf dem Parkplatz wartet. Wir haben uns als nächste Bleibe einen Stellplatz in der Nähe von Beaucaire – etwa in der Mitte zwischen Avignon und Nimes – rausgesucht. Und wieder einmal sollten wir nicht enttäuscht werden. Aber zuerst müssen wir wieder durch die Schranke am Parkplatz – doch zu unserem Glück steht alles offen und wir können ohne zu stoppen durchfahren. Da hatte also doch jemand Mitleid mit uns. Als wir am Stellplatz sind, ist es schon dunkel und es ist schwer zu erraten, ob es dort, wo wir uns hinstellen, auch wirklich passt. Am nächsten Morgen sehen wir allerdings, dass wir gut geraten haben. Es sind einige Vans und Wohnmobile auf dem Platz, und wir werden am Morgen freundlich begrüsst – vorzugsweise auf Französisch. Schöne Parle Pafrosäh.