Die kommende Nacht verbringen wir in einem sehr romantisch klingenden Ort namens «Dorotea». Ja, klingt wirklich schön – aber es sollte schlussendlich einer der unruhigsten Nächte seit Beginn unserer Reise werden. Dazu muss ich kurz ausholen: in Schweden gibt es so etwas ähnliches wie bei uns die führerscheinfreien Autos. Sie waren ursprünglich für die Landwirtschaft gedacht, sehen aus wie die Comic-Version eines Pick-Up, dürfen nicht schneller als 30 km/h fahren und müssen auch sonst einige Auflagen erfüllen – beispielsweise müssen sie eine Ladefläche und eine Anhängerkupplung haben und mit einem roten Warndreieck gekennzeichnet sein. Dies sind dann sogenannte «A-Traktoren», ein rein schwedisches Produkt aus den 60ern, welches bis heute Bestand hat. Kurzum: viele Jugendliche hier in Schweden «bauen» sich ihr erstes Auto gemäss diesen Vorgaben selbst zusammen und dürfen die Kisten dann schon mit 16 (und demnach auch ohne Führerschein) fahren. Wenn sie auf einer Farm wohnen, sogar schon mit 14 Jahren. Also – wie wir alle wissen, gibt’s reife und unreife Jugendliche. Die zweite Sorte haben wir an diesem Abend kennengelernt. Wir parken nach einer wirklich sehr ausgedehnten Tour auf einem Kiesparkplatz in Dorotea. Es ist schon fast ganz dunkel und wir machen uns bereit fürs Bett, als wir plötzlich Autogeräusche hören. Der von uns gewählte Schotterparkplatz dient den (sorry) Idioten mit ihren Dreckskisten wohl als Driftstrecke. Schneller als 30 gehen die bescheuerten Mühlen ja nicht, also wird mit vollem Anlauf eine möglichst enge Kurve gefahren. Ganz toller Trick! Okay, ich war auch mal jung und hab sicher den ein oder anderen Blödsinn gemacht. Aber Steine fliegen über den Platz, sie bleiben neben uns stehen, Hupen und machen sich einen Spass daraus, dass hier ein Wohnmobil steht. Ist ja unglaublich lustig. Gegen 12 Uhr nachts kehrt endlich halbwegs Ruhe ein (denken wir). Dann kommen die Vollpfosten im Zehn-Minuten-Takt, fahren auf und ab, bleiben stehen, fahren weiter und bleiben wieder stehen. Sehr kreativ. Immer wieder schauen wir raus und vergewissern uns, dass die Hinterwäldler auf keine dummen Ideen kommen und unser Wohnmobil verkratzen oder versprayen. Sie tun es zum Glück nicht, und um halb drei Uhr früh verlässt dann endlich auch der letzte Vollhirni mit seiner Mistbüchse den Platz. Endlich schlafen.
Am nächsten Morgen begutachten wir zur Sicherheit nochmals unsere Frida. Zum Glück ist nichts passiert und wir starten so schnell wie möglich, da wir uns wieder mal kultivieren und erfrischen wollen. Hierfür haben wir uns für einen Campingplatz in Storuman – gut 2 Autostunden von Dorotea entfernt - entschieden. Das liegt schon in Lappland, es geht also immer weiter in den Norden. Wir wollen früh ankommen, damit wir den Tag geniessen können. Das klappt auch – die Betreiber sind superfreundlich und der Campingplatz bietet alles, was wir uns wünschen. Inklusive phantastischem Blick auf den See. Eine ausgedehnte Dusche, Rasieren und fein machen steht auf dem Plan. Klar – wir haben natürlich auch alles an Board: Dusche und WC – aber wenn man mal so richtig Platz hat und sich nicht zwangsläufig im Wassersparmodus befindet, kann man es wirklich sehr ausgiebig geniessen. Leider fängt es an zu regnen, und wir können den restlichen Nachmittag leider nicht draussen verbringen. Egal – am Abend ziehen die Wolken wieder ab und für einen gemütlichen Spaziergang rund um den See reicht es aus. Leider kommen immer wieder die Gedanken an Lina hoch. Aber das war uns klar. Wir wussten ja, dass es eines Tages so weit ist, und wir haben auch damit gerechnet, dass es auf der Reise «passieren» wird. Aber wenn der Tag mal da ist, will man es doch nicht wahrhaben.
Die Campingplatzbetreiber geben uns gute Ausflugstipps, von denen wir am nächsten Tag die kurze Wanderung auf einen Aussichtspunkt in der Nähe von Storuman gerne annehmen. Wir werden mit einem grandiosen Blick über die Region belohnt. Zurück beim Campingplatz werden die weiteren Pläne geschmiedet. Lappland ist eine wunderschöne Region. Es gibt unendlich viel Natur und noch unendlich mehr Bäume hier. Aber zum Abschalten können wir uns keinen geeigneteren Ort vorstellen. Für einen Fischer muss es hier das Paradies auf Erden sein. Leider bin ich der Angelrute nicht wirklich mächtig. Aber eines der Ziele, die wir uns für die verkürzte und improvisierte Reise 2020 vorgenommen haben, ist das Nordkap zu erreichen. Dazu müssen wir aber erst mal raus aus Schweden und rein nach Norwegen. Im Normalfall ist es ja kein Problem, aber wie wir wissen ist dieses Jahr alles anders. Norwegen erlaubt die Einreise aus Schweden nur noch für ganz wenige «Corona-neutrale» Zonen. Wir wollen den Versuch wagen und schauen, ob wir über die Grenze kommen – und schlimmstenfalls für 10 Tage in Quarantäne.