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18. Juli 2021Flamenco, Tapas, Freche Fahrräder

Tanz ist ein Telegramm an die Erde mit der Bitte um Aufhebung der Schwerkraft.
18. Juli 2021
- FLAMENCOS, TAPAS, FRECHE FAHRRÄDER | geschrieben von Rene
Sevilla
300 Sonnentage im Jahr, saftige Früchte, arabische und europäische Baustile, Bräuche und Traditionen, Tapasbars, berühmte Bauwerke und verwinkelte Gassen – das alles, und noch vieles mehr ist Sevilla. Die fast 700.000 Einwohnerstadt ist alles andere als klein. Schon die Anreise auf der 4spurigen Stadtautobahn verrät uns, dass wir es hier mit einem ordentlichen «Kracher» zu tun haben. Wir müssen aufpassen, immer die richtige Spur zu wählen, in dem geschäftigen Treiben und dem Verkehr muss man sich früh genug einreihen, um nicht plötzlich auf der falschen Spur zu sein. Doch wir schaffen es und kommen am Stellplatz in einem der Aussenbezirke in Sevilla an – und treffen dort Marianne, die uns herzlich begrüsst und in die Arme nimmt. Nun ist erstmal Zeit um die Geschichten der vergangenen Tage auszutauschen, bevor wir uns an die Planung für die Stadtbesichtigung machen.Unsere Fahrräder kommen wieder zum Einsatz. Wir finden einen geeigneten Weg und erreichen nach etwa 8 Kilometern, die wir nahezu ausschliesslich auf vorgesehenen Fahrradwegen zurücklegen können, das Stadtzentrum. Google Maps verrät uns die Position der örtlichen Touristeninformation. Dort erhoffen wir uns noch die ein oder andere wertvolle Information, Tipps und Tricks rund um Sevilla. Als wir dort ankommen sehen wir wieder einmal, wie pragmatisch die Spanier sind: es handelt sich bei der Touristeninformation lediglich um einen etwa 1,5 m2 grossen Stadtplan auf einer Tafel. Na besten Dank auch! Das bringt uns nicht wirklich weiter.
Zum Glück wissen wir natürlich auch so einige Dinge über Sevilla. Zum Beispiel, dass man den mittelalterlichen Königspalast von Sevilla - der Alcázar – unbedingt besuchen sollte. Die Geschichte reicht wieder einmal bis in die maurische Zeit zurück und wird heute noch von der spanischen Königsfamilie als offizielle Residenz genutzt, wenn sie sich in Sevilla aufhalten. Es lässt sich durchaus schlechter Wohnen, wie wir kurz darauf feststellen. Nach einer ziemlichen Irrfahrt erreichen wir bei brütenden 40 Grad im Schatten endlich mehr oder minder zufällig den Ticketschalter, wo wir den Eintritt bezahlen. Gleich daneben ist – wie sollte es auch anders sein – ähhm, nein, nicht der Eingang, sondern der Ausgang. Vom Eingang ist weit und breit nichts zu sehen. Wir fragen den Wachmann, der uns den Weg erklärt, der so unlogisch ist wie es das Gesetz in Devon (Connecticut, USA) nach Sonnenuntergang verbietet, rückwärts zu laufen (ohne Mist – dieses Gesetz gibt es wirklich!). Na gut, irgendwie kennen wir das ja schon von Spanien, alles muss nicht immer logisch sein und wir erreichen dann doch den Eingang. Der Alcazar selbst ist wieder mal ein maurisch-christliches Märchen. Man fühlt sich wie Cinderella im Traumschloss. Leider gibt es auch hier für das nicht gerade schmale Eintrittsgeld NUR den Eintritt. Ein Audioguide kostet 6,- EUR extra, gar eine Karte mit ein bisschen Beschreibung zu den einzelnen Räumen gibt es nur, wer einen Audioguide nimmt. Schade und Enttäuschend, das haben wir leider schon öfters erlebt. Wir denken gerne etwa an den Papstpalast von Avignon zurück, wo es nicht nur einen mehrsprachigen Audioguide, sondern auch eine visuelle Tour auf einem eigens zur Verfügung gestellten Tablet gab. Da kann sich sowohl die Alhambra in Granada als auch der Alcazar hier in Sevilla eine ganz grosse Scheibe abschneiden. Also sind wir leider wiedermal im Blindflug durch die vielen schönen Räume und die Gärten und können nur raten, welche Geschichte sich dahinter verbirgt. Unendlich schade. Doch immerhin finden wir zwei der drei Locations, wo – wieder mal – einige Szenen der HBO-Serie Game Of Thrones gedreht wurden. Die Anlage ist so gross, dass wir uns die Füsse platt laufen und fast ein bisschen froh sind, wenn wir eine Ecke mal komplett erkundet haben. Zugegeben – den Park haben wir ob der hohen Temperaturen nicht ganz geschafft und den ein oder anderen Pfad ausgelassen, da könnte man fast Tage verbringen.
Nach der Alcazar sind wir echt kaputt. Da wir auch erst relativ spät nach Sevilla gestartet sind, ist es nun auch schon nach 19 Uhr. Uns plagt der Hunger und wir entscheiden uns kurzfristig, irgendwo ein leckeres Restaurant oder Imbiss anzusteuern. Wir werden fündig, finden einen kleinen Geheimtipp an einer versteckten Seitengasse und wir drei essen für unverschämt günstige 11,- EUR echt authentisch zu Abend. Der Tag hat es wirklich in sich, die 40 Grad halten auch am Abend an und dass praktisch kein Lüftchen weht und für ein wenig Abkühlung sorgt fordert uns ganz schön. Aber wir wollten es ja immer gerne warm haben. Am Stellplatz zurück ist dann eine ausgiebige kalte Dusche angesagt, die wir uns echt verdient haben.
Am nächsten Morgen starten wir dann viel früher in den Tag, damit wir um etwa 16 Uhr wieder zuhause sind – ab diesem Zeitpunkt wird es dann für gewöhnlich richtig unerträglich heiss. Der Tag bietet aber abseits von Sevilla ein weiteres Highlight für uns, das nichts mit einer Sehenswürdigkeit zu tun hat: ENDLICH fällt in Spanien die Maskenpflicht im Freien. Das bedeutet: wir müssen nicht mehr sinnloserweise mit dem Lappen vorm Gesicht herumlaufen, selbst wenn keine Menschenseele weit und breit zu sehen ist. Frei atmen – was für eine Wohltat! Heute stehen als Fixpunkte die Kathedrale von Sevilla und die Metropol Parasol auf dem Programm. Diese ist eine Hybridkonstruktion aus Holz, Beton und Stahl in der Altstadt und wurde von 2005 bis 2011 auf der Plaza de la Encarnación errichtet, an der Stelle wo früher die Markthalle stand. Das Gebilde sieht wirklich futuristisch aus, der schön gestaltete Platz inmitten der alten Gebäude wirkt surreal, passt aber trotzdem irgendwie perfekt dazu – vielleicht genau wegen des Gegensatzes.
Nach einer Kaffeepause geht es dann weiter zur Kathedrale, die wirklich enorme Ausmasse hat. Wir parken unsere Fahrräder am vermeintlichen Eingang, der wieder mal kein Eingang ist. Aber der Reihe nach: wir gehen durch dieses mächtige Tor und sehen jetzt erst, was wir von draussen schon erahnt hatten: ein riesiges Kirchenschiff, 42 Meter hoch und eine Grundfläche fast so gross wie Liechtenstein. Bald wird aber klar: der Eingang ist gar nicht hier, sondern wir müssen wieder raus, rum um drei Ecken und dann finden wir den Ticketschalter, der natürlich nirgends angeschrieben ist. Wegweiser sind nicht die grosse Stärke von den Spaniern. Egal, wir habens gefunden. Wir löhnen 10 EUR pro Person und starten unsere Erkundungstour in die grösste gotische Kirche Spaniens und eine der grössten Kirchen der Welt. Die Bauzeit betrug satte 118 Jahre und wurde 1519 auf den Überresten der im 12. Jahrhundert errichteten arabischen Mezquita Mayor fertig gestellt. Mit der Königskapelle ist die Kirche 145 m lang und 82 m breit – was rechnerisch eine Grundfläche von rund 11.900 m2 ergibt. Ja, die Kirche hat es sich schon immer gut gehen lassen. Man gönnt sich ja sonst nichts. Wir steigen zuerst die 104,5 m hohe Giralda hinauf – so wird das Minarett der alten maurischen Moschee und heute Turm der Kathedrale genannt. Sie ist gleichzeitig auch das Wahrzeichen von Sevilla. An der Spitze befindet sich das Glockenhaus mit 24 Glocken. Wenn die loslegen, möchte man nicht da oben sein. Von oben haben wir einen phantastischen Blick in alle Himmelsrichtungen in und über Sevilla hinweg. Der Abstieg ist leichter als der Aufstieg und unten angekommen bestaunen wir die unglaublichen Schätze und Reichtümer der Kirche. Prunk, Protz und Glorie – alles glänzt und glitzert, obwohl Magdalena und Marianne entrüstet feststellen, dass hier nicht ordentlich geputzt wird. Staub und Spinnweben sind überall auf den Statuen und Denkmälern zu finden. Im Mittelschiff befinden sich zwei Orgeln die spiegelbildlich zueinanderstehen und so hoch sind wie ein 4stöckiges Haus. Allein der Wert einer dieser Orgeln ist vermutlich höher als das Bruttoinlandsprodukt von El Salvador.
Mein persönliches Highlight ist jedoch ein anderes, nämlich die letzte Ruhestätte von Cristóbal Colón – besser bekannt als der Entdecker Amerikas: Christopher Kolumbus. Verstorben 1506 kam er nach seinem Tod fast mehr herum als zu Lebzeiten – wurde von Valladolid nach Santo Domingo, anschliessend nach Havanna und 1898 wieder nach Sevilla verschifft. 2006 wurde mittels eines DNA-Abgleichs die Echtheit seiner Überreste bestätigt, womit es zweifelsfrei erwiesen ist: ich stehe unter dem Sarkophag von Christopher Kolumbus. Er wird von vier Herolden getragen, die für die Königreiche Kastilien, León, Aragón und Navarra stehen. Wir erkunden nach einer kurzen Sitzpause die restlichen Räume und Säle der Riesenkirche und verlieren uns ganz in Gedanken über die reichen Schätze, die hier herumstehen. Wir vergessen wieder völlig die Zeit und verbringen Stunden in der Kathedrale. Zugegeben: es hat sich wirklich gelohnt. Nicht nur wegen der angenehm kühlen Temperaturen im Kirchenschiff.
Wir beenden unseren Rundgang, als sich nur noch sehr wenige Leute in der Kirche aufhalten. Scheint wohl bald Feierabend zu sein. Also nix wie hin zu unseren Fahrrädern und auf in das nächste Sevilla-Abenteuer. Wir steuern wieder das Tor an, welches wir ursprünglich als Eingang identifiziert hatten und sehen schon von weitem eine etwas unangenehme Situation. Ein bisschen hat es uns schon gewundert, dass an der Stelle wo wir unsere Fahrräder abgestellt hatten, niemand sonst geparkt hat. Jetzt wissen wir warum. Zwei riesige, jetzt geschlossene Eisentore versperren uns den Zugang und unsere Räder sind gefangen. Na bravo. Gut, immerhin kann sie da niemand klauen. Wir schauen auf die Zeittafel und lesen, dass angeblich um 16:00 Uhr wieder eine Messe ist. Dann wird das Tor sicher wieder geöffnet. Kurzerhand beschliessen wir, Gott einen guten Mann sein zu lassen und die Zeit in einer der unzähligen Tapas-Bars zu überbrücken. Was sich auch wirklich lohnt: wir speisen und trinken vorzüglich und geniessen nebenbei das geschäftige Treiben der Stadt, das an uns vorbeizieht. Da wir zu dritt sind lohnt es sich dieses Mal wirklich und wir bestellen alle Tapas der Menükarte, die uns ansprechen. Es sollte wohl so sein mit unseren eingesperrten Fahrrädern, sonst hätten wir das vermutlich nicht gemacht.
Nun wird es aber Zeit, unsere Fahrräder zu erlösen. Es ist bereits halb fünf. Hoffnungsvoll kehren wir zur Kathedrale zurück und sind überrascht: die Tore sind immer noch zu. Wir lachen kurz über uns selbst – aber noch länger warten wollen wir nicht. Ich gehe zum Ticketschalter und erkläre der verdutzten Angestellten, was uns widerfahren ist. So ganz checkt sie sie Situation nicht, aber nach dem dritten Erklärungsversuch geht ihr ein Licht auf und sagt, sie würde dem Wachmann Bescheid geben, wir sollen draussen vor dem Eingang/Ausgang/Tor/WasAuchImmer warten. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt dann tatsächlich der Schlüsselmeister, der sich gleich furchtbar aufpustet und irgendwas von Policia und Punkten faselt, prohibido und uns überhaupt eigentlich am liebsten gleich ins Gefängnis stecken würde. Der hat zuhause vermutlich nicht viel zu sagen, deswegen spielt der sich hier so auf. Ich sag nur «Si, si» (Ja, ja …) zu ihm und bleibe vollkommen gelassen. Das gefällt ihm gar nicht, genervt sperrt er endlich das Tor auf und wir können unsere Fahrräder holen. Wir bedanken uns freundlich bei dem netten Herrn, der sich sicher über ein ordentliches Streitgespräch gefreut hätte, weil sonst den ganzen Tag nix los war. Aber blöd gelaufen für ihn, und wir ziehen davon zum Plaza de Espana – einer der bekanntesten Plätze Sevillas.
Plaza de Espana
Der rund 50.000 m2 grosse Platz mit dem halbkreisförmigen Gebäude, die eine Umarmung der südamerikanischen Kolonien durch Spanien symbolisieren. Der Platz ist wirklich aussergewöhnlich schön, der riesigen Brunnen in der Mitte spendet etwas kühlen, feuchten Nebel und als absolute Draufgabe dürfen wir der Darbietung einer Flamencogruppe mit Band beiwohnen, die sich mal eben dort versammelt haben und ihr Können zum Besten geben. Der Platz ist wirklich aussergewöhnlich, ein buntes Treiben von Touristen und Spaziergängern und das ungewöhnlich schöne Gebäude wirken wie aus einem Freizeitpark. Kein Wunder also, dass der Platz auch schon von mehreren Filmcrews auserkoren wurde. So diente es beispielsweise als Hauptstadt des Planeten Naboo aus Star Wars Episode II, es stellte das Cairo Great Britain Army Headquater aus «Lawrence von Arabien» dar, und auch in «Der Diktator» diente es als Schauplatz des fiktiven Wüstenstaates Wadyia.Als wir gegen 19 Uhr feststellen, dass wir unsere angepeilte Rückkehr um 16 Uhr leicht überschritten hatten wurde uns klar, dass wir unser Zeitmanagement nicht so ganz im Griff haben. Sei’s drum, der Tag war voller Highlights und Eindrücke, und wir kehren wieder mal kaputt aber zufrieden auf unseren Stellplatz zurück und freuen uns wieder über die kalte Dusche nach der Hitzeschlacht.
Weil es uns so gut gefällt, verbringen wir noch einen weiteren Tag in Sevilla, den wir aber eher sehr gemütlich angehen lassen. Doch es zieht uns jetzt immer stärker in Richtung Portugal. Allzu weit ist die Grenze nicht mehr entfernt. Unser nächstes Etappenziel heisst Huelva.
Isla Cristina, im Juli 2021
Liebe Grüsse
Liebe Grüsse
Rene
Reiseroute
25. Juni - 28. Juni 2021Sevilla
ESP
Erfahrungsberichte